Die Schilf-Glasflügelzikade breitet sich in Deutschland immer weiter aus: Wie ist die Lage in Niedersachsen? Die LWK Niedersachsen hat ein erstes Monitoring durchgeführt.
Die Schilf-Glasflügelzikade bedroht zunehmend den Kartoffel- und Zuckerrübenanbau. Während das Monitoring 2024 in Niedersachsen noch keine alarmierenden Ergebnisse lieferte, zeigen Versuche in Süddeutschland erste Lösungsansätze. Doch reichen diese aus, um die Ausbreitung der Zikade zu stoppen – und was bedeutet das für Niedersachsen? Die wärmeliebende Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) hat sich in den vergangenen Jahren zu einem bedeutenden Problem für den deutschen Zuckerrüben- und Kartoffelanbau entwickelt.
Bakterielle Erreger
Sie überträgt zwei bakterielle Krankheitserreger:
• Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus (kurz: Arsenophonus)
• Candidatus Phytoplasma solani (kurz: Stolbur),
Beide Erreger verursachen massive Ertragsverluste und Qualitätsprobleme. Besonders betroffen sind südliche und östliche Zuckerrüben-Anbaugebiete in Deutschland.
Im Jahr 2024 wurde in Niedersachsen erstmals ein umfassendes Monitoring durchgeführt, um die Verbreitung der Zikaden zu erfassen. Der Pflanzenschutzdienst der Landwirtschaftskammer Niedersachsen überwachte insgesamt 43 Standorte in bedeutenden Anbaugebieten für Zuckerrüben und Kartoffeln. Dabei konnten lediglich drei Zikaden in den Landkreisen Helmstedt und Goslar nachgewiesen werden, von denen nur eine den Erreger Arsenophonus trug.
Der besondere Lebenszyklus der Schilf-Glasflügelzikade
Die Schilf-Glasflügelzikade fliegt von Mai bis Oktober aus Vorjahresfeldern in die Bestände ein, wo sie an den Blättern saugt und dabei die Krankheitserreger überträgt. Aus den im Boden abgelegten Eier schlüpfen Nymphen, die an den Feinwurzeln saugen und im Boden überwintern. Dieser Zyklus erschwert die Bekämpfung erheblich, da sowohl die mobile adulte Zikade als auch die im Boden verborgenen Nymphen eine Bekämpfung schwierig machen. Der Verzicht auf Winterkulturen nach Zuckerrüben unterbricht diesen Kreislauf an einer entscheidenden Stelle.
Auch die Nordzucker fand bei ihrem Monitoring erste Zikaden und Symptome bzw. Hinweise auf einen ersten latenten Befall. Trotz der geringen Befallszahlen wird eine weitere Ausbreitung der Zikaden erwartet, insbesondere aus Sachsen-Anhalt kommend. Naturräumliche Faktoren wie niedrigere Durchschnittstemperaturen und häufigere Windereignisse im Vergleich zu den bisherigen Befallsgebieten lassen jedoch eine langsamere Ausbreitung in Niedersachsen erhoffen.
Für das Jahr 2025 plant die Landwirtschaftskammer Niedersachsen ein erweitertes Monitoring an noch mehr Standorten, um frühzeitig festzustellen, ob Maßnahmen zur Bekämpfung erforderlich sind. Dieses Monitoring erfolgt in enger Abstimmung mit anderen Pflanzenschutzdiensten, der Nordzucker AG, sowie landwirtschaftlichen Verbänden. Versuche in Süddeutschland und der Schweiz zeigen, dass der Verzicht auf Winterkulturen nach Zuckerrüben die Populationsdichte der Zikaden erheblich reduzieren kann. Durch eine vegetationsfreie Zeit im Winter wird den Nymphen die Nahrungsgrundlage entzogen. Entscheidend ist dabei eine Brache bis Mai des Folgejahres, was nur Kulturen wie Mais oder Soja zulässt. Mehrfach konnte so eine Reduktion der Zikaden im Folgejahr von ca. 90 % nachgewiesen werden.
Für Niedersachsen könnte diese Maßnahme ebenfalls in Zukunft relevant werden, erfordert jedoch eine regionale Abstimmung, da sie nur bei großflächiger Umsetzung wirksam ist. Die Strategie könnte auch im Kartoffelanbau Anwendung finden.
Tolerante Sorten wählen
Bei ausschließlichem Befall mit Arsenophonus kann der Zuckerertrag durch den Anbau toleranter Zuckerrübensorten bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden. Problematisch ist jedoch der Stolbur-Erreger, der sich immer weiter ausbreitet. Das derzeit verfügbare Sortenspektrum bietet keine Möglichkeit, den Ertrag unter diesen Bedingungen zu sichern.
Neben der Sortenwahl stehen verschiedene weitere Maßnahmen zur Verfügung, die jedoch häufig mit hohen Kosten, erheblichem Arbeitsaufwand oder praktischen Einschränkungen verbunden sind. So kann der Anbau von Frühkartoffeln unter Folie mit früher Ernte das Infektionsrisiko deutlich reduzieren.
Transfermulch hat in Kartoffelversuchen in zwei von drei Jahren zu einer signifikanten Reduktion der Krankheitssymptome geführt, ist jedoch aufgrund technischer Herausforderungen schwer umsetzbar und bislang wenig verbreitet. Kulturschutznetze stellen ebenfalls eine wirksame Option dar, dürften jedoch vor allem auf hochwertige Gemüsekulturen beschränkt bleiben.
Insektizide einsetzen
Die Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) mit Insektiziden ist aufgrund der langen Flugzeit von Mai bis Oktober und der hohen Aktivität sehr herausfordernd. Da die Wirkungsdauer von Insektiziden begrenzt ist, sind mehrfache Applikationen notwendig. Um potenzielle Lösungen zu finden, wurden Versuche unter Koordination der Task Force SBR und des Julius Kühn-Instituts durchgeführt. An vielen Versuchsstandorten in den Befallsregionen Deutschlands (Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz) kamen unter anderem Insektizide wie Mospilan (Acetamiprid) zum Einsatz.
Versuchsergebnisse
Die Ergebnisse zeigten eine Reduktion der Nymphen der Folgegeneration. Diese wurden durch Zählungen an ausgegrabenen Zuckerrüben im Boden erfasst. Die Insektizidbehandlungen scheinen die adulten Zikaden bis zu einem gewissen Grad bekämpft und die Eiablage reduziert zu haben. Damit haben sie das Potenzial, die Zikadenpopulation zu reduzieren.
Für das Jahr 2025 wurden mehrere Anträge auf Notfallzulassungen für den Einsatz von Insektiziden gegen Zikaden in Zuckerrüben, Kartoffeln und verschiedenen Gemüsearten gestellt. Die ersten Notfallzulassungen für eine Anwendung in Zuckerrüben sind bereits genehmigt. Ihr Einsatz darf nur nach Warndienstaufruf durch die Pflanzenschutzdienste in den betroffenen Gebieten durchgeführt werden.
In den Befallsregionen sind außerdem weitere Feldversuche geplant. Neben den bereits getesteten Wirkstoffen sollen auch weitere Insektizide sowie Wirkstoffkombinationen untersucht werden. Ziel ist es, effektivere Strategien zur Bekämpfung der Schilf-Glasflügelzikade zu entwickeln und deren potenzielle Auswirkungen auf den Zuckerertrag zu ermitteln.
Monitoring LWK Niedersachsen 2024
• Standorte: 43 Flächen in Niedersachsen
• Funde: Drei Einzeltiere (LK Helmstedt und LK Goslar)
• Erregernachweis: Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus in einem Tier
• Gesamtergebnis: Aktuell keine flächendeckende Verbreitung; weitere Ausbreitung aus Sachsen-Anhalt erwartet
• Ausblick: Intensivierung des Monitorings für 2025 geplant
Fazit
Trotz geringer Fangzahlen im Monitoring 2024 ist die Schilf-Glasflügelzikade eine ernsthafte Bedrohung für den Anbau von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüsekulturen in Niedersachsen. Lösungen wie die Fruchtfolgeumstellung sind vielversprechend, erfordern jedoch eine regionale Zusammenarbeit und haben ökonomische Konsequenzen. Auch Notfallzulassungen von Insektiziden können helfen, die Populationsentwicklung zu begrenzen.
Ein Blick nach vorn zeigt, dass auch züchterische Ansätze an Bedeutung gewinnen werden. Die Entwicklung resistenter Sorten gegen die bakteriellen Erreger könnte langfristig eine nachhaltige Lösung bieten. Gleichzeitig müssen Forschung und Monitoring intensiviert werden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und effektive Maßnahmen zu entwickeln.